Wie Politiker*innen und Personen des öffentlichen Lebens die deutsche Sprache prägen

„Zeitenwende“, „Brandmauer“ oder „Klimakleber[1]“ – in den Medien begegnen wir immer wieder bestimmten Begriffen, die unsere Sprache formen wie nie zuvor. Neutrale Begriffe bekommen durch die Verwendung in einem emotional aufgeladenen Moment eine exklusive Bedeutung. In unserem Blogbeitrag beleuchten wir Schlagwörter in den Medien sowie deren Wirkung – denn der Kampf um die Aufmerksamkeit in digitalen Medien ist auch ein sogenannter „Semantischer Kampf“[2].


[1]Neugeprägtes Wort, bezieht sich auf KIimaaktivisten, die sich mit Kleber auf die Straße kleben, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen.

[2]Der Begriff „Semantischer Kampf“ beschreibt in der Linguistik Versuche, die eigene Perspektive als die allein gültige oder zumindest überlegene zu präsentieren und durchzusetzen (vgl. https://www.bpb.de/themen/parteien/sprache-und-politik/545294/semantische-kaempfe/).

Neuprägung von deutschen Begriffen

Im Jahr 2022 dominierte ein Wort die mediale Debatte wie kein anderes: Der Begriff der „Zeitenwende“ wurde vom damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag verwendet. Anlass war der Ausbruch des Ukraine-Kriegs. In seiner Rede nannte er mehrere Gründe, die den Gebrauch des Begriffs rechtfertigten: Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine war eine neue Epoche angebrochen. Die Fähigkeit, das eigene Land zu verteidigen, war in Frage gestellt. Anschließend gab es viele TV-Sendungen, wo der Ausdruck „Zeitenwende“ immer dann im Raum stand, wenn es um das veränderte Verhältnis zu Russland ging. 

Es ging aber um noch viel mehr: Bundeskanzler Scholz hat mit dem Begriff „Zeitenwende“ komplexe Zusammenhänge zu einem Schlagwort verkürzt. Wie viele Figuren der Zeitgeschichte prägte Scholz den Sprachgebrauch, indem er die Bedeutung eines Wortes für seinen Zweck vereinnahmte. Diese Neuprägung von Begriffen ist allerdings nur dann erfolgreich, wenn sie von der angesprochenen Gruppe akzeptiert wird. Die Theorie dahinter geht bis in die Anfänge des letzten Jahrhunderts zurück.

Der Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure führte ein Zeichenmodell ein, das aufzeigt, wie wir Sprache verstehen und anwenden: Es beschreibt die Beziehung zwischen der Lautrepräsentation eines Wortes und dessen Bedeutung. Die Verbindung zwischen den beiden Einheiten bedarf eines sozialen Kontextes. Einfach ausgedrückt: Ein Baum ist nur dann die Pflanze mit Stamm, Ästen, Zweigen und Blättern, wenn alle, die das Wort benutzen, auch jene Vorstellung davon teilen.

Umdeutung von Metaphern (sprachlichen Bildern)

Der Begriff „Brandmauer“ prägt die aktuelle politische Debatte in Deutschland am stärksten. Es handelt sich ursprünglich um einen Begriff aus dem Bauwesen. Heutzutage wird er benutzt, um sich gegen rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien abzugrenzen. Ähnlich einem Schutzwall gegen die Ausbreitung von Feuer, dient die metaphorische „Brandmauer“ dazu, bestimmte Politikinhalte einzudämmen. Die potenzielle Zusammenarbeit mit entsprechenden Parteien erhöht die Einsturzgefahr der Brandmauer. Das erste Entlehnen des Begriffs „Brandmauer“ das erste Mal für politische Zwecke verwendet wurde, ist schwer zu bestimmen. In den 90er-Jahren wurde nach dem Abriss der Berliner Mauer zwischen Ost und West von einer Brandmauer gegen die Politikinhalte der Linken gesprochen. Anhand des Beispiels wird deutlich: Wer es schafft, den Begriff für sein Publikum positiv oder negativ aufzuladen, hat den Kampf um die Aufmerksamkeit gewonnen.

Verwendung von abstrakten Begriffen

In der Öffentlichkeit hat es zuletzt unzählige Diskussionen über abstrakte Begriffe gegeben. Der Begriff „Remigration“ (oder Rückwanderung)[1] hat es durch Kontextualisierung[2] sogar zum Unwort des Jahres 2023 geschafft. 

Seit einigen Jahren wird der Begriff „Remigration“ verstärkt von rechtspopulistischen und rechtsextremen Akteuren genutzt und im Sinne ihrer Ideologie politisch umgedeutet. Sprecher*innen der AfD[3] bezeichnen damit die Rückführung von illegal eingewanderten Menschen, Anhänger*innen der Identitären Bewegung[4] sogar alle Menschen mit Migrationshintergrund. 

Je mehr Personen außerhalb der eigenen Gruppe den Sprachgebrauch kritiklos übernehmen, umso einfacher ist es für die Urheber politische Ziele durchzusetzen. Wir erleben diesen Prozess in der Debatte um Migrationspolitik: Vor der Fluchtbewegung Asylsuchender im Jahr 2015 gab es zwar eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Remigration“, aber der Syrienkrieg und seine Folgen hat die Debatte nochmals befeuert. Dieses Beispiel zeigt, wie erfolgreich ein komplexes Thema mittels eines Begriffs besetzt werden kann, der zuvor wenig in Gebrauch war. 

 


[1]Rückwanderung (oder Remigration) bezeichnet die Rückkehr von Migrant*innen in ihr Herkunftsland bzw. an den Ausgangsort ihrer Migration (vgl. https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/glossar-migration-integration/270628/rueckwanderung/).

[2]Das Übernehmen von Begriffen, Ideen oder Konzepten in einen anderen Kontext als den Ursprünglichen.

[3]Abkürzung für die Partei „Alternative für Deutschland“. Mehr zu Parteien in Deutschland findet ihr auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung (vgl. https://www.bpb.de/themen/parteien/parteien-in-deutschland/501802/parteien-im-bundestag/).

[4]Die identitäre Bewegung ist eine Ende 2012 in Deutschland entstandene Gruppierung neu-rechter und rechtsextremer Aktivisten (vgl. https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/500787/identitaere-bewegung/).

Wortneuschöpfungen und Wortkürzungen

Auch andere Politikinhalte, die stark polarisieren, können Wortneuschöpfungen mit sich ziehen. Im Zusammenhang mit dem zunehmenden CO2-Ausstoß der Menschen, gibt es seit geraumer Zeit eine gesellschaftliche Diskussion um die geeigneten Maßnahmen zur Verringerung des Treibhauseffekts. Begriffe wie „1,5 Grad-Ziel“, „Klimakleber“ und „Klimaleugner“ hat es vor der medial aufgeheizten Debatte rund um das Thema nicht gegeben. Ohne Kontextualisierung, wie das Pariser Klimaabkommen, ohne Menschen, die sich aus Angst demonstrativ auf die Straße klebten, wären diese Begriffe kraftlos geblieben. 

Je mehr sich eine Gesellschaft von komplexen Ereignissen bedroht oder eingeschränkt fühlt, umso mehr bemühen sich die tonangebenden Akteure einer Sprache zu bemächtigen, die verkürzt. Das Verkürzen dient dazu, Bilder zu erzeugen, die nicht weiter hinterfragt werden. Eine einfache Sprache schafft Kontrolle über ein Thema, umso mehr, wenn dieses mit Kontrollverlust einhergeht. 

Ob ein Begriff sich letztendlich durchsetzt, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Neben der Aktualität der Ereignisse braucht es die die Absicht, das Geschehen für bestimmte Zwecke zu nutzen, sowie das passende Timing. Durch die unzähligen Kanäle, die es im Zeitalter der Digitalisierung gibt, muss sich ein Begriff erst einmal flächendeckend etablieren. Immer noch gehören die Öffentlich-Rechtlichen TV-Sender zu den wirkungsstärksten Akteuren politischer Diskussion. Das Internet und die sozialen Medien sind aber die Diskussionsforen, in denen sich entscheidet, ob die Sprache übernommen wird oder nicht.

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